Die Welt ist ein Stück ärmer...
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Die Welt ist ein Stück ärmer...
Vielleicht nicht die Welt, aber Deutschland. Jetzt ist er also gegangen, der große Marcel Reich-Ranicki. Die Großen in Deutschland würdigen ihn landauf und landab. Ob Frau Löffler, ob Herr Gras ihm verziehen haben? Ich weiß es nicht. Ob er wirklich ein bedeutender Literaturkritiker war, ich will es nicht beurteilen.
Aber:
Der Mann hatte Unterhaltungswert! Jedenfalls immer dann, wenn er ein Buch verriß (was geradezu eine Auszeichnung war), wenn er den Karasek schulmeisterte, ihm meinte erklären zu müssen, wie deutsche Sprache geht. Und er war ein dankbares Objekt für Parodisten. Das gerollte "R", das leichte Lispeln und jene Stimmführung mit der er verkündete: "Dafs ifst keine Literratuurrrr!"
Auch wenn er sich schon seit einiger Zeit - vermutlich der Erkrankung geschuldet - aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, mir fehlt er irgendwie. Der Mann hat es geschafft mich zu beeindrucken.
Aber:
Der Mann hatte Unterhaltungswert! Jedenfalls immer dann, wenn er ein Buch verriß (was geradezu eine Auszeichnung war), wenn er den Karasek schulmeisterte, ihm meinte erklären zu müssen, wie deutsche Sprache geht. Und er war ein dankbares Objekt für Parodisten. Das gerollte "R", das leichte Lispeln und jene Stimmführung mit der er verkündete: "Dafs ifst keine Literratuurrrr!"
Auch wenn er sich schon seit einiger Zeit - vermutlich der Erkrankung geschuldet - aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, mir fehlt er irgendwie. Der Mann hat es geschafft mich zu beeindrucken.
Oldoldman- Anzahl der Beiträge : 1064
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Alter : 65
Ort : Hoch im Norden...
Dem hab ich nur noch dies hinzuzufügen
Bitte ganz zu Ende hören. Großartig. MRR in Bestform.
Möge er nicht Recht behalten, was seine Meinung zum Tod betrifft.
stringa- Anzahl der Beiträge : 1646
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Hi Stringa,
Jetzt hast du mich wieder aktiviert - ich war ja Monate nicht hier: keen Zick!
Was MRR angeht, stehe ich natürlich eher auf der Seite der Autoren, die er oft grundlos niedergemacht hat... Wenn ihn was lannnkwailte, war Schluß mit lustig.
Aber diese temperamentvolle Schiller-Würdigung hat was, das muß ich zugeben. Wie er über den Tod dachte, weiß ich allerdings nicht. Wie ich ihn einschätze: wohl eher prosaisch. Er war ja nicht religiös.
Was MRR angeht, stehe ich natürlich eher auf der Seite der Autoren, die er oft grundlos niedergemacht hat... Wenn ihn was lannnkwailte, war Schluß mit lustig.
Aber diese temperamentvolle Schiller-Würdigung hat was, das muß ich zugeben. Wie er über den Tod dachte, weiß ich allerdings nicht. Wie ich ihn einschätze: wohl eher prosaisch. Er war ja nicht religiös.
Lobelie- Anzahl der Beiträge : 2568
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Marcel Reich Ranicki
hatte keine Angst vorm Tod, wie er oft gesagt hat, sondern vor dem Nicht-Mehr-da-Sein.
Geht mir auch so. Ich hoffe ja in einem hinteren Winkel meines hoffentlich ansonsten vernünftigen Gehirns auf ein Plätzchen meiner Wahl nach dem Tod.
Das wünsche ich ihm ebenfalls. Vielleicht ein Kamin-Eckchen, wo er in der Ewigkeit jeden Tag Herrn Karasek oder Frau Löffler niedermachen kann
Geht mir auch so. Ich hoffe ja in einem hinteren Winkel meines hoffentlich ansonsten vernünftigen Gehirns auf ein Plätzchen meiner Wahl nach dem Tod.
Das wünsche ich ihm ebenfalls. Vielleicht ein Kamin-Eckchen, wo er in der Ewigkeit jeden Tag Herrn Karasek oder Frau Löffler niedermachen kann
stringa- Anzahl der Beiträge : 1646
Anmeldedatum : 22.06.12
Ich habe gerade
das hier gefunden:
http://www.focus.de/kultur/buecher/tid-33605/das-letzte-gespraech-mit-marcel-reich-ranicki-sich-mit-dem-tod-auszusoehnen-ist-unmoeglich_aid_1104911.html
Danach gehörten die Steitereien mit Karasek und Löffler nicht zu den wichtigsten Dingen in seinem Leben. Sagt er.
http://www.focus.de/kultur/buecher/tid-33605/das-letzte-gespraech-mit-marcel-reich-ranicki-sich-mit-dem-tod-auszusoehnen-ist-unmoeglich_aid_1104911.html
Danach gehörten die Steitereien mit Karasek und Löffler nicht zu den wichtigsten Dingen in seinem Leben. Sagt er.
Lobelie- Anzahl der Beiträge : 2568
Anmeldedatum : 14.06.12
Nicht-mehr-da-sein....
Dieser Zustand wird MRR nicht mehr ereilen. Er wird, jedenfalls bei Literaturbeflissenen, weiter "da" sein. Schüler werden im Deutschunterricht seine Kritiken lesen und analysieren. Sein Körper wird den Gang allen Irdischen gehen, die Atome sich neu formieren, aber - das ist der Unterschied zu dem "normalen" Menschen - sein Geist wandelt "unsterblich" weiter. Vielleicht schillert er ja wie sei geliebter Goethe...
Oldoldman- Anzahl der Beiträge : 1064
Anmeldedatum : 06.06.12
Alter : 65
Ort : Hoch im Norden...
Oldoldman
du weißt aber schon, wie er's gemeint hat ?
"Er", also sein Bewußtsein, ist nicht mehr da, das hat er gefürchtet.
Oder, wie's Tucholsky gesagt hat : "Ich werde mich schon sehr vermissen."
Das trifft's ziemlich genau, finde ich. Deshalb beneide ich manchmal gläubige Menschen
"Er", also sein Bewußtsein, ist nicht mehr da, das hat er gefürchtet.
Oder, wie's Tucholsky gesagt hat : "Ich werde mich schon sehr vermissen."
Das trifft's ziemlich genau, finde ich. Deshalb beneide ich manchmal gläubige Menschen
stringa- Anzahl der Beiträge : 1646
Anmeldedatum : 22.06.12
Und dann auch noch die Kränkung,
daß die Welt unbeeindruckt weitergeht... In der sich die Leute vielleicht sogar noch mehren, die "Die Räuber" blöd finden.
Lobelie- Anzahl der Beiträge : 2568
Anmeldedatum : 14.06.12
Ich seh schon, Lobelie,
du hättest vielleicht nicht mal einen Gedenkstein gesetzt.
Ja, der hatte schon ein Talent dafür, sich unbeliebt zu machen. Aber ich mochte die Leidenschaft, mit der er seine (ja - durchaus persönlichen) Meinungen vertrat.
Sie haben sich sehr oft mit den meinen gedeckt. So etwas hat man immer gern.
Ja, der hatte schon ein Talent dafür, sich unbeliebt zu machen. Aber ich mochte die Leidenschaft, mit der er seine (ja - durchaus persönlichen) Meinungen vertrat.
Sie haben sich sehr oft mit den meinen gedeckt. So etwas hat man immer gern.
stringa- Anzahl der Beiträge : 1646
Anmeldedatum : 22.06.12
Ich bin da vorbelastet...
Hans Wollschläger schrieb anonym schon 1981 einen Nachruf auf ihn (unter Verwendung von MRR-Zitaten):
Der Rezensent
Jüngst schlief ich über der Zeitung ein
- ich hatt’ mir den Magen verdorben -
und träumte, ich schrumpfte, wär’ feist und klein
und just zuvor plötzlich verstorben.
Ich träumte, ich wäre der Rezensent,
der mich in dem Blatt besprochen,
und las nun im Totendokument,
ich hätt’ zuviel Galle erbrochen.
Man nahm mir den Rock, die Krawatte, die Hos’
zur letzten Zubereitung,
und vor dem Glatzkopf, da trug ich bloß
die allgemeine Zeitung.
Mir ward dahinter ganz fürchterlich dumm
und giftig im Gefühle -
so kam ich hinauf ins Elysium,
da war ein großes Gewühle.
Allerorten sah ich die Dichter gehn,
die in früheren Zeiten geschrieben
und deshalb von mir - wer wird’s nicht verstehn? -
wohlweislich verschont geblieben.
Doch wie lohnten sie’s mir? Kein Carmen erklang,
kein Ehrentor war mir errichtet -
sie taten, als wär’ ich ein bloßer Geruch,
vor dem nur die Nasen man dichtet.
Da stand bei Kafka, wo er nur stört,
mit masochistischer Pose
Tucholsky, der doch vergessen gehört,
und pflegt’ seine Zwangsneurose.
Und gar neben Goethe - abstoßend zu schaun -
Karl Kraus, borniert bis ins Alter,
der erfolgreiche Intellektuellenclown
und verstaubte Alleinunterhalter.
»Sie, Goethe«, rief ich, »wo denken Sie hin!
Der kämpft bloß mit Mücken und Fliegen!
Und die ›Fackel‹, die sah ich im alten Berlin
meist nur bei den Witzblättern liegen!«
Und dort - dort sah ich nun Thomas Mann
den peinlichen Andersch begleiten,
obwohl man doch weiß, der mischt, wo er kann,
Sex, Auschwitz und Binsenweisheiten!
Aber was denn?! Narrt mich mein Augenglas?
Wer dreht da harmonische Runden?
Der vertrackte Döblin mit dem Günter Grass,
den doch örtlich betäubt ich gefunden!
Und auch der Walser hat es geschafft
und posiert als Theaterdenker -
dabei fehlt ihm doch jede poetische Kraft,
dem Zimmerschlachtenlenker!
Ich hab’ ja mein Bestes getan, dem Wicht
den guten Ruf zu vertreiben,
doch gelang’s mir bisher ums Verrecken nicht,
ihm auch den Nachruf zu schreiben.
Was macht der hier? Und Canetti schier
ist doch auch noch immer am Leben!
Die Kerls, die verkehrn hier so munter, als wärn
zu Besuch bei Verwandten sie eben!
Wie dreist da der Handke, der Herburger lugt -
und alle noch unverblichen!
Die haben sich, von mir unbefugt,
hier einfach den Zugang erschlichen!
Doch komm’ ich da, Gott sei Dank, noch nicht zu spät.
»Alle herhören!« rief ich mit Gellen.
»Ich verlange von jedem, bevor er hier geht,
sich zur Nachprüfung anzustellen!«
Keine Antwort. Sei’s denn - so ging ich und schaut’
mich um, daß ich irgendwen stäche –
da sah ich den Hochhuth ganz frech und laut
mit Lessing im Gespräche.
»Also, Lessing«, rief ich, »na hören Sie mal -
das sollten Sie wirklich nicht machen!
Sonst kann ich nicht mehr wie bisher kollegial
zitieren aus Ihren Sachen!«
Keine Antwort. Nur drüben am Abgrund, da murrt’s
wie an der Klagemauer:
der halbe Kürschner läßt seinen Furz
vor dem grämlichen Schopenhauer.
Ein ganzes Salonpessimistenheer
ist aus den Löchern gekrochen -
Ich habe die Schöpfung, bitte sehr,
immer positiv besprochen!
Und dort an der Grenze, ermüdend verrucht,
neben Edgar A. Poe, dem bleichen,
da kauert der Thomas Bernhard und sucht
schon wieder nach neuen Leichen.
Die Verkehrte Welt: was ich tapfer verriß
und erledigt’ für alle Zeiten,
das sonnt sich im Ruhm hier, und was ich pries,
das glänzt nur durch Abwesenheiten!
»Wo sind meine Eideshelfer? Herbei!
Benn, Musil, Curtius und Schlegel,
Fontane, Benjamin, Shaw, Nicolai
und Kerr – ist das etwa ein Flegel?«
Nichts rührt sich. Keiner dort dankt es mir
mit gebührenden Lobesgaben,
daß ich sie alle doch dauernd zitier’ -
das soll nun ein Ende haben!
Eine Schande wahrhaftig! Sie werden nicht rot,
ja, sie lachen ob meiner Nöte.
»Wer ist das? Ein Rezensent? Schlagt ihn tot!«
rief der sonst so gewählte Goethe.
Da wurde’s nun brenzlich: es gab ein Gewirr,
und alle auf einmal kamen,
umringten mich frech und verliehen mir
ganz unwiederholbare Namen.
»Was tut der Plattkopf mit uns intim?«
so johlten sie alle im Chore,
und einer rief: »Heim ins Reich mit ihm!«
und stieß mich von der Empore.
»Wir wollen den dumpfen Alberich
hier oben nimmermehr haben -
von uns aus lebe er ewiglich
bei Frankfurts Schiebern und Schaben!«
Und eh’ ich noch wußte, wie mir geschah,
entsank ich durch einen der Risse,
sauste, schlug auf und saß da - und sah
die vertraute Bankenkulisse.
Roch Schwefeldioxyd und Ruß,
des Mains anmutige Laugen,
und über die Zeil sprang der Zerberus
und leckt’ mir die Hühneraugen.
Da ward mir das Herze auf einmal weit:
Hier bin ich im Elemente!
Hier ist mein Platz, hier mach’ ich mich breit
und verteil’ die Kulturpatente.
Und geht es dort oben so zu und um,
so soll mich das weiter nicht beißen:
Ich werd’ das gesamte Elysium
in meinem Blatt verreißen!
Doch da ich dies sprach, da tat’s einen Schlag,
und der Traum sprang mir eilends in Stücke;
der Alb entwich, es war wieder Tag
und alles nur Zeitungs-Tücke.
Ich tat sie zum Müll und griff mir ans Haar,
damit ich mich sicher erkennte,
froh, daß ich wieder ich selber war
und nicht jener Rezensente.
Den, Leser, meide als wie die Pest:
kein Mitgefühl mache dich wanken.
Denn wer erst den Quatsch vor die Augen sich läßt,
dem schleicht er auch in die Gedanken.
[Erstdruck des Gedichts unter dem Titel: Der Rezensent oder Frankfurter Traumballade, in: Tintenfaß Nr. 4, Zürich 1981 (= Diogenes Taschenbuch 22004). Unter der Verfasserangabe »Anonymus, 20. Jahrhundert« erschienenes Gedicht, dessen Urheber von den Lesern zu erraten war und, laut Auskunft des Autors, nicht erraten wurde.]
Der Rezensent
Jüngst schlief ich über der Zeitung ein
- ich hatt’ mir den Magen verdorben -
und träumte, ich schrumpfte, wär’ feist und klein
und just zuvor plötzlich verstorben.
Ich träumte, ich wäre der Rezensent,
der mich in dem Blatt besprochen,
und las nun im Totendokument,
ich hätt’ zuviel Galle erbrochen.
Man nahm mir den Rock, die Krawatte, die Hos’
zur letzten Zubereitung,
und vor dem Glatzkopf, da trug ich bloß
die allgemeine Zeitung.
Mir ward dahinter ganz fürchterlich dumm
und giftig im Gefühle -
so kam ich hinauf ins Elysium,
da war ein großes Gewühle.
Allerorten sah ich die Dichter gehn,
die in früheren Zeiten geschrieben
und deshalb von mir - wer wird’s nicht verstehn? -
wohlweislich verschont geblieben.
Doch wie lohnten sie’s mir? Kein Carmen erklang,
kein Ehrentor war mir errichtet -
sie taten, als wär’ ich ein bloßer Geruch,
vor dem nur die Nasen man dichtet.
Da stand bei Kafka, wo er nur stört,
mit masochistischer Pose
Tucholsky, der doch vergessen gehört,
und pflegt’ seine Zwangsneurose.
Und gar neben Goethe - abstoßend zu schaun -
Karl Kraus, borniert bis ins Alter,
der erfolgreiche Intellektuellenclown
und verstaubte Alleinunterhalter.
»Sie, Goethe«, rief ich, »wo denken Sie hin!
Der kämpft bloß mit Mücken und Fliegen!
Und die ›Fackel‹, die sah ich im alten Berlin
meist nur bei den Witzblättern liegen!«
Und dort - dort sah ich nun Thomas Mann
den peinlichen Andersch begleiten,
obwohl man doch weiß, der mischt, wo er kann,
Sex, Auschwitz und Binsenweisheiten!
Aber was denn?! Narrt mich mein Augenglas?
Wer dreht da harmonische Runden?
Der vertrackte Döblin mit dem Günter Grass,
den doch örtlich betäubt ich gefunden!
Und auch der Walser hat es geschafft
und posiert als Theaterdenker -
dabei fehlt ihm doch jede poetische Kraft,
dem Zimmerschlachtenlenker!
Ich hab’ ja mein Bestes getan, dem Wicht
den guten Ruf zu vertreiben,
doch gelang’s mir bisher ums Verrecken nicht,
ihm auch den Nachruf zu schreiben.
Was macht der hier? Und Canetti schier
ist doch auch noch immer am Leben!
Die Kerls, die verkehrn hier so munter, als wärn
zu Besuch bei Verwandten sie eben!
Wie dreist da der Handke, der Herburger lugt -
und alle noch unverblichen!
Die haben sich, von mir unbefugt,
hier einfach den Zugang erschlichen!
Doch komm’ ich da, Gott sei Dank, noch nicht zu spät.
»Alle herhören!« rief ich mit Gellen.
»Ich verlange von jedem, bevor er hier geht,
sich zur Nachprüfung anzustellen!«
Keine Antwort. Sei’s denn - so ging ich und schaut’
mich um, daß ich irgendwen stäche –
da sah ich den Hochhuth ganz frech und laut
mit Lessing im Gespräche.
»Also, Lessing«, rief ich, »na hören Sie mal -
das sollten Sie wirklich nicht machen!
Sonst kann ich nicht mehr wie bisher kollegial
zitieren aus Ihren Sachen!«
Keine Antwort. Nur drüben am Abgrund, da murrt’s
wie an der Klagemauer:
der halbe Kürschner läßt seinen Furz
vor dem grämlichen Schopenhauer.
Ein ganzes Salonpessimistenheer
ist aus den Löchern gekrochen -
Ich habe die Schöpfung, bitte sehr,
immer positiv besprochen!
Und dort an der Grenze, ermüdend verrucht,
neben Edgar A. Poe, dem bleichen,
da kauert der Thomas Bernhard und sucht
schon wieder nach neuen Leichen.
Die Verkehrte Welt: was ich tapfer verriß
und erledigt’ für alle Zeiten,
das sonnt sich im Ruhm hier, und was ich pries,
das glänzt nur durch Abwesenheiten!
»Wo sind meine Eideshelfer? Herbei!
Benn, Musil, Curtius und Schlegel,
Fontane, Benjamin, Shaw, Nicolai
und Kerr – ist das etwa ein Flegel?«
Nichts rührt sich. Keiner dort dankt es mir
mit gebührenden Lobesgaben,
daß ich sie alle doch dauernd zitier’ -
das soll nun ein Ende haben!
Eine Schande wahrhaftig! Sie werden nicht rot,
ja, sie lachen ob meiner Nöte.
»Wer ist das? Ein Rezensent? Schlagt ihn tot!«
rief der sonst so gewählte Goethe.
Da wurde’s nun brenzlich: es gab ein Gewirr,
und alle auf einmal kamen,
umringten mich frech und verliehen mir
ganz unwiederholbare Namen.
»Was tut der Plattkopf mit uns intim?«
so johlten sie alle im Chore,
und einer rief: »Heim ins Reich mit ihm!«
und stieß mich von der Empore.
»Wir wollen den dumpfen Alberich
hier oben nimmermehr haben -
von uns aus lebe er ewiglich
bei Frankfurts Schiebern und Schaben!«
Und eh’ ich noch wußte, wie mir geschah,
entsank ich durch einen der Risse,
sauste, schlug auf und saß da - und sah
die vertraute Bankenkulisse.
Roch Schwefeldioxyd und Ruß,
des Mains anmutige Laugen,
und über die Zeil sprang der Zerberus
und leckt’ mir die Hühneraugen.
Da ward mir das Herze auf einmal weit:
Hier bin ich im Elemente!
Hier ist mein Platz, hier mach’ ich mich breit
und verteil’ die Kulturpatente.
Und geht es dort oben so zu und um,
so soll mich das weiter nicht beißen:
Ich werd’ das gesamte Elysium
in meinem Blatt verreißen!
Doch da ich dies sprach, da tat’s einen Schlag,
und der Traum sprang mir eilends in Stücke;
der Alb entwich, es war wieder Tag
und alles nur Zeitungs-Tücke.
Ich tat sie zum Müll und griff mir ans Haar,
damit ich mich sicher erkennte,
froh, daß ich wieder ich selber war
und nicht jener Rezensente.
Den, Leser, meide als wie die Pest:
kein Mitgefühl mache dich wanken.
Denn wer erst den Quatsch vor die Augen sich läßt,
dem schleicht er auch in die Gedanken.
[Erstdruck des Gedichts unter dem Titel: Der Rezensent oder Frankfurter Traumballade, in: Tintenfaß Nr. 4, Zürich 1981 (= Diogenes Taschenbuch 22004). Unter der Verfasserangabe »Anonymus, 20. Jahrhundert« erschienenes Gedicht, dessen Urheber von den Lesern zu erraten war und, laut Auskunft des Autors, nicht erraten wurde.]
Lobelie- Anzahl der Beiträge : 2568
Anmeldedatum : 14.06.12
Mann oh Mann oh Mann,
da sieht man doch, daß Schriftsteller den Rezensenten an Bösartigkeit nicht nachstehen
stringa- Anzahl der Beiträge : 1646
Anmeldedatum : 22.06.12
Sie
haben auch genug durch ihn erlitten...
Was die Invektiven gegen Autoren angeht, so stammen die von MRR.
Was die Invektiven gegen Autoren angeht, so stammen die von MRR.
Lobelie- Anzahl der Beiträge : 2568
Anmeldedatum : 14.06.12
Rezensenten und Verlage...
Nun, Rezensenten sind bei Autoren selten beliebt, sprechen sie bisweilen doch unbequeme Wahrheiten aus oder reiten ihr ureigenes Steckenpferd. Das ist wohl das Zusammentreffen zweier Eitelkeiten: die des Autoren, der weiß, daß er Großes vollbracht hat, und die des Kritikers, der sich gern in der Rolle des Beckmessers gefällt. Von Richard Strauss ist bekannt, daß er einem Kritiker, der gerade eine seiner Uraufführungen mit einem Verriß bedacht hatte, schrieb: "Werter Herr ...., ich sitze hier im kleinsten Raume meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. Gleich werde ich sie hinter mir haben. ..." Auf der anderen Seite, MRR als Leitfigur der Literaturkritik hatte mit seinem Urteil die Macht, einem Autor Erfolg zu bescheren. Überhaupt von ihm wahrgenommen, gelesen und womöglich gar rezensiert zu werden, war schon Ritterschlag für eine der vielen Neuerscheinungen, etwas, wovon Harry Wagenvoer nur träumen kann. Und ich gestehe, je niederschmetternder eine Kritik von MRR ausfiel, umso größer der Reiz bei mir, dieses Buch zu lesen....
Allerdings, auch die Verlage sind in jenem Kuturbetrieb nicht ohne. Zumindest in der Vergangenheit wurden gern Autoren, die schon einmal erfolgreich veröffentlicht hatten, mit Verträgen versehen, die dem Verlag die Rechte für die nächsten X Werke sicherten. So etwa der Traditionsverlag Bote & Bock (1995 durch Boosey & Hawkes aufgekauft und in diesen Tagen nach 162 Jahren geschlossen - vgl.: http://www.berliner-zeitung.de/archiv/traditionsreiche-musikalienhandlung-wird-geschlossen---sinkende-umsaetze-sorgten-fuer-entscheidung-beim-neuen-eigentuemer-nach-162-jahren-verschwindet-der-name-bote---bock,10810590,9765138.html), der sich die Verlagsrechte an Liedern von Richard Strauss im Vorwege sicherte. Strauss und sein Librettist Kerr reagierten darauf u. a. mit folgendem Lied:
So haben Wollenschläger und Strauss, jeder auf seine Art, sich der Kritik zu erwehren gewußt.
Die Kritiken von MRR, so mein Eindruck, waren für den Leser deshalb so bestechend, weil sie polarisierten. In ihrer Art hatten sie etwas von Herbert Wehner, nur sprachlich etwas ausgefeilter...
https://www.youtube.com/watch?v=1o5RuswUUKc
Vielen Dank, Herr Wöhner
Allerdings, auch die Verlage sind in jenem Kuturbetrieb nicht ohne. Zumindest in der Vergangenheit wurden gern Autoren, die schon einmal erfolgreich veröffentlicht hatten, mit Verträgen versehen, die dem Verlag die Rechte für die nächsten X Werke sicherten. So etwa der Traditionsverlag Bote & Bock (1995 durch Boosey & Hawkes aufgekauft und in diesen Tagen nach 162 Jahren geschlossen - vgl.: http://www.berliner-zeitung.de/archiv/traditionsreiche-musikalienhandlung-wird-geschlossen---sinkende-umsaetze-sorgten-fuer-entscheidung-beim-neuen-eigentuemer-nach-162-jahren-verschwindet-der-name-bote---bock,10810590,9765138.html), der sich die Verlagsrechte an Liedern von Richard Strauss im Vorwege sicherte. Strauss und sein Librettist Kerr reagierten darauf u. a. mit folgendem Lied:
Man muß wohl nicht betonen, daß dieses Lied in der Schublade des Verlages verschlossen blieb und lange Jahre nicht aufgeführt werden durfte....Einst kam der Bock als Bote
Zum Rosenkavalier an's Haus,
Er klopft mit seiner Pfote,
Den Eingang wehrt ein Rosenstrauss.
Der Strauss sticht seine Dornen schnell
Dem Botenbock durch's dicke Fell.
O Bock, zieh mit gesenktem Sterz
Hinterwärts, hinterwärts!
O Bock, o Botenbock,
Zieh mit gesenktem Sterz
Hinterwärts, hinterwärts!
________
Text: Alfred Kerr (1867 - 1948)
Komposition: Richard Strauß (1864 - 1949)
vgl.: http://www.recmusic.org/lieder/get_text.html?TextId=9314
So haben Wollenschläger und Strauss, jeder auf seine Art, sich der Kritik zu erwehren gewußt.
Die Kritiken von MRR, so mein Eindruck, waren für den Leser deshalb so bestechend, weil sie polarisierten. In ihrer Art hatten sie etwas von Herbert Wehner, nur sprachlich etwas ausgefeilter...
https://www.youtube.com/watch?v=1o5RuswUUKc
Vielen Dank, Herr Wöhner
Oldoldman- Anzahl der Beiträge : 1064
Anmeldedatum : 06.06.12
Alter : 65
Ort : Hoch im Norden...
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